BGH, Urteile vom 12.10.2021, Az. VI ZR 488/19 und VI ZR 489/19
Im Oktober 2021 hat der Bundesgerichtshof nun zum vierten Mal am Beispiel von Jameda über das Verhältnis von Bewertungsportalen zu Bewerteten entschieden. Über die in der Vorinstanz ergangenen Urteile haben wir berichtet. Inhaltlich begehrten die Kläger in den nun endgültig entschiedenen Verfahren die vollständige Löschung ihrer Profile sowie Unterlassung, dass ungefragt erneut Profile auf ihren Namen angelegt werden.
Zur Erinnerung
- 2014 hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung „Jameda II“ herausgestellt (wir berichteten), dass bei einer Abwägung der Interessen der Bewerteten einerseits und der Interessen des Portals und der das Portal nutzenden Allgemeinheit die Interessen der Bewerteten im Grundsatz zurücktreten müssen. Zwar ist die ungefragte Anlage eines „Basisprofils“ durchaus ein nicht unerheblicher Eingriff in die Rechtspositionen des Bewerteten. Aber diese wiegen nicht so schwer, dass das entgegenstehende Interesse der Allgemeinheit an der Transparenz im Gesundheitswesen zurückstehen muss.
- 2018 hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung „Jameda III“ diese Haltung bekräftigt, aber insofern relativiert, als dass die Grundentscheidung aus 2014 nur insofern gültig ist, als dass Jameda als „neutraler Informationsvermittler“ auftritt. Verlässt das Bewertungsportal diese Rolle, können Ärzte die Löschung ihrer jameda-Profile verlangen.
Vor diesem Hintergrund war es nur eine Frage der Zeit, bis vor Gerichten die Frage ausgelotet wird, wann und unter welchen Bedingungen von einer Rolle als „neutraler Informationsvermittler“ ausgegangen werden darf, bzw. wann diese nicht mehr vorliegt. Nachdem sich bereits das Landgericht Bonn und das Oberlandesgericht Köln mit dieser Frage befasst haben, hat mit den nun ergangenen Urteilen der Bundesgerichtshof entschieden. Er hat dabei seine in den vorangegangenen Prozessen verfolgte Linie konsequent fortgesetzt.
Der Fall
Zum Verständnis des hier akuten Rechtsproblems muss man wissen, dass jameda ungefragt von wahrscheinlich allen Ärzten in Deutschland sogenannte „Basisprofile“ anlegt. Diese „Basisprofile“ sind kostenlos und beinhalten Informationen, die z.B. auch in Telefonbüchern zu finden sind. Sie bilden das Rückgrat der von jameda bereitgestellten Datenbank. Darauf aufbauend bietet jameda kostenpflichtige Dienstleistungen für „Premiumkunden“ an, die den in der Datenbank gelisteten zahlenden Ärzten Vorteile bieten sollen
Diese Informationen sind personenbezogene Daten, die durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) besonderen Schutz genießen. Artikel 17 DSGVO statuiert einen Löschungsanspruch derjenigen, deren Daten verarbeitet werden, wenn keine legitime Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung (mehr) vorliegt. In den nun entschiedenen Fällen haben die Ärzte sich auf diesen Anspruch berufen und von jameda die vollständige Löschung ihrer „Basisprofile“ von der Plattform verlangt. jameda hingegen beruft sich auf die vom Bundesgerichtshof im Jahr 2014 statuierte Position, als Bewertungsplattform eine wichtige und gesellschaftlich gewünschte Funktion zu erfüllen. Man habe aufgrund dieser Funktion ein sogenanntes „berechtigtes Interesse“ an der Nutzung der Daten der Ärzte für die „Basisprofile“, die daher auch legitim seien.
In der Abwägung, ob tatsächlich ein solches „berechtigtes Interesse“ vorliegt, ist wiederum entscheidend, ob jameda als „neutraler Informationsvermittler“ handelt oder nicht. Zur Beantwortung dieser Frage hat nun auch der Bundesgerichtshof viele Gestaltungselemente und Funktionen des Portals von jameda einzeln betrachtet und für jede entschieden, ob die jeweilige Ausgestaltung noch diesem Anspruch gerecht wird. Hierzu hat er die Eigenschaften der „Basisprofile“ mit den Eigenschaften des Angebots für „Premiumkunden“ verglichen und in welchem Verhältnis beide zueinanderstehen.
Der Bundesgerichtshof hat – nicht überraschend – festgestellt, dass „Basisprofile“ anders behandelt werden als „Premiumkunden“ und dass sich jameda die Bevorteilung der „Premiumkunden“ bezahlen lässt.
Eine solche Ungleichbehandlung hält der Bundesgerichtshof jedoch im Grundsatz für legitim. Er hat konstatiert, dass die Pflicht zum Auftreten als „neutraler Informationsvermittler“ kein „strenges Gleichbehandlungsgebot“ enthält. Im Gegenteil darf jameda als Teil seiner Dienstleistungen „Basiskunden“ durchaus anders – und auch besser! – behandeln als „Premiumkunden“. Dies ist zulässig, solange aus einem solchen Verhalten den „Basiskunden“ kein unmittelbarer Nachteil entsteht – etwa, weil ihre Reputation ganz konkret belastet oder eine Lenkungswirkung von potentiellen Patienten vom „Basiskunden“ weg hin zu „Premiumkunden“ feststellbar ist. Ein lediglich reflexhafter Nachteil hingegen, der allein daraus entsteht, dass „Premiumkunden“ eine bessere Behandlung erhalten bewirkt jedoch nicht, dass jameda die Position als „neutraler Informationsvermittler“ verlässt.
Bei dem für das aktuelle Urteil vom Bundesgerichtshof geprüften 22 Konstellationen hat das Gericht eine solche konkrete Belastung für den „Basiskunden“ abgelehnt. Jameda hatte also ein „berechtigtes Interesse“, die Daten der Ärzte für „Basisprofile“ zu nutzen, auch ohne die Ärzte um ihre Einwilligung zu der Datennutzung zu fragen.
Fazit:
Die Gestaltung des Bewertungsportals jameda hat damit die Feuerprobe vor dem Bundesgerichtshof bestanden. Zumindest für die Version von 2019 hat das Gericht bestätigt, dass die Anlage von „Basisprofilen“ datenschutzrechtlich zulässig und nicht angreifbar war. Aber natürlich entwickelt sich jameda wie jedes Internetangebot stetig fort. Ob die Maßstäbe, die das oberste deutsche Gericht definiert, hat auch in Zukunft von jameda (oder anderen Portalen) eingehalten werden, wird sich zeigen.
Hinweis
In dieser Rubrik möchten wir über aktuelle Rechtsentwicklungen rund um Bewertungsportale berichten. Dabei geben die Artikel die Meinung der Verfasser zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Aufgrund der Dynamik des Rechtsgebiets kann es vorkommen, dass besprochene Urteile durch zu einem späteren Zeitpunkt ergangene Urteile überholt sind. Auch ist es möglich, dass unterschiedliche Gerichte zu ähnlichen Rechtsfragen unterschiedliche Urteile fällen, soweit es zu diesen keine eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt.
Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie Fragen zur aktuellen Rechtslage haben.