BGH, Urteil vom 5. Dezember 2006 (Az. VI ZR 45/05)
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte in ihrer Internetausgabe am 4. September 2003 einen Artikel mit der Überschrift »Enthüllungen – Die Terroristin und der Figaro«. Darin wird berichtet, der Berliner Star-Friseur Udo Walz habe die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu einem Zeitpunkt frisiert, als diese bereits wegen Mordes gesucht worden sei. In dem Artikel wird die Tochter von Ulrike Meinhof, Bettina Röhl, als „Terroristentochter“ bezeichnet. Frau Röhl wollte der FAZ diese Bezeichnung gerichtlich untersagen lassen.
Der BGH entschied den Rechtsstreit in letzter Instanz am 5. Dezember 2006 wie folgt:
- Die beanstandete Äußerung ist eine Tatsachenbehauptung. Durch den Bezug zu Ulrike Meinhof wird für den durchschnittlichen Leser klargestellt, dass die Bezeichnung in dem Sinne »Tochter einer Terroristin« gemeint ist. Der Aussage lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass sich die Klägerin etwa mit den Zielen von Terroristen, insbesondere der RAF identifiziert habe. Ein solches Verständnis kann nach dem Inhalt des gesamten Artikels ausgeschlossen werden.
- Durch die Einstufung als Tatsachenbehauptung wird der Aussagegehalt der Äußerung jedoch nicht vollständig erfasst, zumal die Wahrheit des tatsächlichen Kerns nicht im Streit steht. Vielmehr geht es darum, ob die gewählte Formulierung als solche zulässig war. Soweit es um den Tatsachenkern geht, ist zu beachten, dass der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG sich auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, indem sie etwa darauf gerichtet sind, dem Leser ein eigenes Urteil über ein geschildertes Verhalten zu ermöglichen. Gleiches gilt, wenn es um eine Äußerung geht, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird. Beides ist hier der Fall, sodass es vom Aussagegehalt her einer Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten bedarf.
- Eine den Sachbezug verdrängende Schmähungsabsicht oder eine Formalbeleidigung kann der beanstandeten Äußerung nicht entnommen werden.
- Bei der Abwägung fällt zu Gunsten des Persönlichkeitsrechts der Klägerin ins Gewicht, dass die beanstandete Äußerung scharf und polemisch formuliert ist und zweifellos die Persönlichkeit der Klägerin nicht umfassend beschreibt, zumal diese nur die ersten sieben Jahre ihres Lebens mit ihrer Mutter zusammenlebte und weder zu ihrer Mutter noch zu anderen RAF-Mitgliedern Kontakt hatte, nachdem ihre Mutter in den Untergrund gegangen war. Deshalb bedeutet diese Äußerung sowohl nach ihrem tatsächlichen Gehalt als auch in der konkreten Formulierung für die Klägerin eine gravierende persönliche Belastung.
- Andererseits ist auf Seiten der Meinungsfreiheit zu beachten, dass es sich um einen Beitrag von öffentlichem Interesse handelt, der zur Meinungsbildung bei der Bewertung von Fragen beitragen sollte, die die Klägerin selbst durch ihre Äußerungen über Udo Walz, einen früheren Bundesminister und durch andere Veröffentlichungen in die Öffentlichkeit getragen hat, und für deren Beurteilung auch der persönliche Lebenshintergrund der Verfasserin von Bedeutung war. Auch hat die Klägerin ihre Abstammung nicht geheim gehalten, sondern in zahlreichen Veröffentlichungen dargestellt. Es kann sich niemand auf ein Recht zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat
- Insgesamt führt die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die beanstandete Äußerung zulässig ist.
Fazit:
Die FAZ durfte die Tochter von Ulrike Meinhof in ihrer konkreten Berichterstattung als „Terroristentochter“ bezeichnen.
Das BGH-Urteil zeigt wieder einmal sehr schön, dass Aussagen nicht pauschal als zulässig oder unzulässig eingestuft werden können, sondern es einer umfassenden Abwägung aller konkreten Umstände des Einzelfalls bedarf. Selbst sehr scharfe und polemisch formulierte Aussagen, die das Persönlichkeitsrecht stark beeinträchtigen, können im konkreten Einzelfall – wie hier – noch zulässig sein. Aus dem Urteil darf aber keinesfalls der Rückschluss gezogen werden, die Bezeichnung als „Terroristentochter“ sei generell zulässig.
Das Urteil ist im Volltext hier abrufbar.