OLG Dresden, Urteil vom 8. September 2011 (Az. 4 U 459/11)
Unter der Überschrift „Horst Köhler und die Ausbeuter“ berichtete stern.de am 8. Oktober 2009 über einen geplanten Besuch des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler bei Warwick, einem überregional bekannten Hersteller von Musikinstrumenten, anlässlich des 60. Geburtstages des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
In dem Artikel heißt es unter anderem:
„Der Berliner Arbeitsrechtler Ulf Weigelt bewertet die Bedingungen bei dem Unternehmen kritisch. „Wird zweimal im Monat samstags gearbeitet, handelt es sich um eine Sechs-Tage-Woche – die Mitarbeiter hätten Anspruch auf 24 Tage Urlaub.“ Bei Warwick, dem durch den Bundespräsidentenbesuch geadelten Gitarrenbauer, sind es 20.
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„Grenzt an Sklavenarbeit“
Auch die IG Metall in Zwickau hat unangenehme Erfahrungen gemacht: „Warwick hat verhindert, dass wir dort einen Betriebsrat gründen“, berichtet der Erste Bevollmächtigte Stefan Kademann. „Das ging sogar so weit, dass die ihre Mitarbeiter nicht rausgelassen haben, als wir vor dem Werkstor Flugblätter verteilt haben.“ Kademann ist überzeugt: „Die wollten einfach nicht, dass ihre Mitarbeiter Kontakt zu Gewerkschaften bekommen.“ Die insgesamt schlechten Arbeitsbedingungen sind ihm bekannt. „Aus unserer Sicht grenzt das an Sklavenarbeit.“
Warwick setzte sich gegen die Berichterstattung gerichtlich zur Wehr. Ein Verfahren vor dem Landgericht Zwickau (Az. 4 O 281/09) endete am 8. Juni 2010 mit einem Vergleich, in dem sich der Stern verpflichtete, bestimmte Absätze des Artikels zu löschen. Anschließend erhob Warwick erneut Klage gegen den Stern, diesmal ausschließlich auf Unterlassung der Äußerungen „Grenzt an Sklavenarbeit“ und „Aus unserer Sicht grenzt das an Sklavenarbeit“.
Das OLG Dresden entschied den Rechtsstreit wie folgt:
- Durch die Überschrift „Grenzt an Sklavenarbeit“ im vorletzten Absatz des Artikels und die undistanzierte Wiedergabe der Äußerung des Gewerkschafters Kademann „aus unserer Sicht grenzt das an Sklavenarbeit“, die sich der Stern hierdurch zu eigen gemacht hat, sind die unternehmensbezogenen Interessen von Warwick betroffen, die sowohl durch das (Unternehmer-)Persönlichkeitsrecht als auch durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt sind. Warwick als juristische Person des Privatrechts kann sich auf eine Verletzung dieser Grundrechte berufen.
- Die Verwendung dieser Begriffe ist fraglos auch geeignet, das unternehmerische wie das betriebliche Ansehen von Warwick in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen und dem Unetrnehmen damit erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Es ist allgemein bekannt, dass bereits der Vorwurf der Ausbeutung und des Sozialdumpings die Gefahr von Boykottaufrufen der eigenen Produkte für ein Unternehmen massiv erhöht. Durch die Verbreitung von Informationen über Internetforen, in denen sich Nutzer und potentielle Kunden gezielt über ein Unternehmen austauschen, wird diese Problematik erheblich verschärft.
- Die angegriffenen Äußerungen sind aber vom Grundrecht des Stern auf Presse- und Meinungsfreiheit geschützt. Der Begriff „Sklavenarbeit“ wird als Oberbegriff für die dem Unternehmen in dem Artikel vorgeworfenen Praktiken verwendet. Die Begriffe „Sklaverei und „Ausbeuter“ bringen dabei als Oberbegriff plakativ und schlagwortartig die Ablehnung dieser Arbeitsbedingungen zum Ausdruck. Hingegen kann der Bewertung als „Sklaverei“ im Kontext eines Artikels, der sich mit den Arbeitsbedingungen eines in Deutschland ansässigen Unternehmens befasst, nicht die Aussage entnommen werden, die Arbeitnehmer stünden gänzlich außerhalb des Rechts, seien eine reine Handelsware und würden verdinglicht und entmenschlicht. Insgesamt handelt sich hierbei um eine Meinungsäußerung. Ersichtlich ist nämlich die Bewertung der Arbeitsbedingungen nicht im Schwerpunkt von den aufgeführten tatsächlichen Bestandteilen geprägt, wodurch ihnen insgesamt der Charakter einer Tatsachenbehauptung beigemessen werden könnte, die einen bestimmten Vorgang im Wesentlichen beschreibt und nicht bewertet. Der unscharfe, zugleich aber hoch emotionale und nicht an die Begrifflichkeiten des Arbeitsrechts anknüpfende Begriff der „Sklavenarbeit“ verdeutlicht vielmehr, dass die vorgefundenen Umstände in erster Linie bewertet werden sollen.
- Wenn sich – wie hier – wertende und tatsächliche Elemente in einer Äußerung so vermengen, dass diese insgesamt als Werturteil anzusehen ist, kann die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem durch das grundrechtsbeschränkende Gesetz geschützten Rechtsgut zurücktreten. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Die Äußerung enthält keine bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen.
- Die streitgegenständliche Äußerung stellt auch keine unzulässige Schmähkritik dar. Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens ist in der Regel auch dann vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, wenn sie scharf und überzogen formuliert ist. Gleiches gilt für die Bewertung der Arbeitsbedingungen eines Wirtschaftsunternehmens. Insgesamt hat Warwick die Äußerungen „Grenzt an Sklavenarbeit“ und „Aus unserer Sicht grenzt das an Sklavenarbeit“ deshalb hinzunehmen. Es besteht kein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers.
Fazit:
Die Äußerung, die in einem Unternehmen herrschenden Arbeitsbedingungen „grenzen an Sklavenarbeit“, ist keine Schmähkritik, sondern als unternehmensbezogene Meinungsäußerung in der Regel hinzunehmen. Es besteht deshalb kein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers. Eine wertende Kritik an einem Wirtschaftsunternehmen ist regelmäßig auch dann noch vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt, wenn sie scharf und überzogen formuliert ist.
Das Urteil des OLG Dresden zeigt einmal mehr, wie weit der Schutz der Meinungsfreiheit reicht und wie hoch die Schwelle für eine unzulässige Schmähkritik liegt.
Das Urteil des OLG Dresden ist im Volltext hier abrufbar. Der streitgegenständliche Artikel findet sich hier.