Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 15.09.2020 (29 U 6/20)
Die rechtliche Diskussion über Bewertungsportale dreht sich regelmäßig vor allem um die Interessen der Bewerteten und der Portale: Menschen, die sich und ihre Leistungen auf Portalen als falsch bewertet ansehen, wehren sich gegen schlechte Bewertungen.
Es ist nun zu beobachten, dass Gerichte vermehrt auch mit der genau gegensätzlichen Konstellation konfrontiert werden: Portale löschen Kommentare und Bewertungen von Nutzern – und die Urheber dieser Kommentare und Bewertungen gehen gegen die Löschung vor.
Der Fall:
So lag der Sachverhalt auch im vorliegenden Fall: das OLG Hamm hatte darüber zu entscheiden, ob die Löschung von Beiträgen in einem Social-Media Netzwerk durch den Betreiber des Social-Media Netzwerks rechtmäßig war.
Der Fall war – wie die meisten, der uns bekannten, ähnlich gelagerten Fälle – unappetitlich. Es ging um Beiträge mit hasserfüllten, rassistischen und fremdenfeindlichen Aussagen. Das Social-Media Portal stufte die Beiträge als „Hassrede“ ein, löschte die Beiträge und sperrte das Konto des Nutzers. Als Begründung berief es sich auf seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Gegen die Handlungen des Portals klagte der Nutzer und verlangte neben der Wiederherstellung der gelöschten Beiträge die Feststellung, die Sperrung sei rechtswidrig gewesen. Der Nutzer berief sich dabei auf seine Meinungsfreiheit. Das Oberlandesgericht entschied, wie schon das Landgericht in erster Instanz, gegen den Nutzer und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Löschung und auch der Sperrung.
Unsere Einschätzung:
Vorab: wir halten das Urteil des Oberlandesgerichts inhaltlich für völlig richtig. Hass ist keine Meinung. Und wer denkt, Meinungsfreiheit wäre das angemessene Vehikel, kriminelles Verhalten, Lügen und fehlende Sozialkompetenz zu rechtfertigen, der irrt.
Gleichwohl stellen sich in diesen Fällen spannende juristische Fragen: haben Bewertungsplattformen ein „virtuelles Hausrecht“? Dürfen Social-Media- oder auch Bewertungsportale frei entscheiden, wer Zugang zu ihrem Angebot erhält? Und dürfen sie Beiträge oder Bewertungen in eigenem Ermessen löschen?
Die typische Juristenantwort dazu: es kommt darauf an.
Zu berücksichtigen ist zunächst, dass die Betreiber der Portale private Unternehmen sind. Sie bieten eine Dienstleistung an, namentlich die Nutzung der von ihnen betriebenen Plattformen. Für die Erbringung dieser Dienstleistung steht es dem Betreiber im Rahmen seiner „Privatautonomie“ frei, seine Vertragsbedingungen zu formulieren. Diese Vertragsbedingungen wird der Nutzer anerkennen und akzeptieren müssen, will er die Plattform nutzen. Jede Nutzung der Plattform – sei es, um ein Bewertungsprofil der eigenen Arztpraxis auf Jameda einzustellen, oder sei es, um eine Bewertung auf Google zu hinterlassen – wird also stets auf Basis des zwischen dem Nutzer und dem Portalbetreiber abgeschlossenen Vertrag erfolgen. Insofern haben die Plattformen durchaus ein „Hausrecht“: es findet sich in den vom Portal vorgegebenen Vertragsbedingungen und der darin verankerten Rechte und Pflichten der Vertragsparteien.
Allerdings dienen Social-Media Plattformen gerade der Kommunikation- und dem Meinungsaustausch. Und im Hinblick auf Bewertungsplattformen betont der Bundesgerichtshof in stetiger Rechtsprechung, dass sie, wie im Falle von jameda, einen wesentlichen Beitrag zur Meinungsbildung und zur Transparenz im Gesundheitswesen leisten. Diese Funktionen können sie nur erfüllen, wenn im Grundsatz auch alle zulässigen Meinungen gehört und abgebildet werden – auch wenn sie vielleicht unangenehm sind.
Vor diesem Hintergrund müssen sich die Vertragsbedingungen der Portale an den Wertungen des Grundgesetzes messen lassen. Juristen sprechen insofern von einer „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte. Gerade Social-Media Plattformen, die einem allgemeinen, nicht themenbezogenen Meinungsaustausch dienen, können ihren Nutzern deren Meinungsäußerungen nicht verbieten – solange diese Meinungsäußerungen rechtlich zulässig sind. Und damit schließt sich der Kreis zum Fall des Oberlandesgerichts Hamm: hier waren Meinungsäußerungen Gegenstand des Verfahrens, die als Hassrede außerhalb dessen standen, was rechtlich zulässig ist. Entsprechend konnte sich der Kläger auch nicht wirksam auf seine Meinungsfreiheit berufen – er hatte ihre Grenzen überschritten.
Fazit:
Ja, im Grundsatz haben Bewertungsplattformen ein „virtuelles Hausrecht“ – allerdings nur ein eingeschränktes. Einerseits können sie jedem die Nutzung der Plattform verwehren, der ihre Vertragsbedingungen nicht akzeptiert. Aber andererseits können sie nicht nach Gusto Beiträge und Bewertungen löschen, sondern müssen sich in ihrem Handeln an den Wertungen unseres Grundgesetzes orientieren.
Ob die Löschung von Beiträgen in Social-Media Plattformen – oder die Löschung von Bewertungen auf Bewertungsportalen – von deren Urhebern angefochten werden kann, bleibt eine Frage des Einzelfalls. Es wird immer auf eine Abwägung aller gegebenen Umstände und betroffenen Rechtspositionen ankommen, ob der Urheber des gelöschten Beitrags durch das Verhalten der Plattform in seiner Meinungsfreiheit verletzt wurde oder nicht. Das wird dann jedenfalls nicht der Fall sein, wenn er mit seinen Äußerungen die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten hat – also insbesondere, wenn die Äußerungen z.B. als Hassrede oder Beleidigungen strafbar oder schlicht gelogen sind.
Hinweis
In dieser Rubrik möchten wir über aktuelle Rechtsentwicklungen rund um Bewertungsportale berichten. Dabei geben die Artikel die Meinung der Verfasser zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Aufgrund der Dynamik des Rechtsgebiets kann es vorkommen, dass besprochene Urteile durch zu einem späteren Zeitpunkt ergangene Urteile überholt sind. Auch ist es möglich, dass unterschiedliche Gerichte zu ähnlichen Rechtsfragen unterschiedliche Urteile fällen, soweit es zu diesen keine eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt.
Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie Fragen zur aktuellen Rechtslage haben.