Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Mai 2012 – 27 O 864/11
Tatbestand:
Der Antragsteller ist Heilpraktiker, betreibt ein Naturheilzentrum in Hamburg und präsentiert sein Angebot auf seiner Internetseite »www.de«.
Die Antragsgegnerin hat ihren Geschäftssitz in Helsinki/ Finnland. Sie betreibt die Internetseite »www.com«, auf der Internetnutzer für beliebige Internetseiten Bewertungen und Kommentare abgeben können. Die Bewertungen erfolgen (in der deutschen Sprachfassung) in den Kategorien »Vertrauenswürdigkeit«, »Händlerzuverlässigkeit «, »Datenschutz« und »Jugendschutz« jeweils auf einer farbig unterlegten Skala von »sehr schlecht« (rot) über »schlecht« (orange), »ungenügend« (gelb), »gut« (hellgrün) bis »ausgezeichnet« (grün).
Die Antragsgegnerin erläutert in den FAQ auf ihrer Internetseite die Bedeutung der Kategorien auszugsweise wie folgt:
»Vertrauenswürdigkeit (…) Eine schlechte Bewertung kann auf Identitätsbetrugsrisiko, Internetbetrug, Kreditkartenbetrug, Phishing, Gewinnspielbetrug, Viren, Adware oder Spyware hinweisen. (…)«
»Händlerzuverlässigkeit: Ist das Kaufen oder Verkaufen (…) auf dieser Website sicher? Eine ›schlechte‹ Bewertung weist auf möglichen Betrug oder schlechte Erfahrungen beim Einkauf hin.«
»Datenschutz: Können Sie dem Besitzer der Website vertrauen und ohne Sicherheitsrisiko Ihre E-Mail-Adresse angeben oder Dateien herunterladen? Eine ›schlechte‹ Bewertung deutet auf Spam, Adware oder Spyware hin.«
»Jugendschutz: Enthält die Website Inhalte, die für Kinder oder Jugendliche nicht geeignet sind (pornografische Inhalte, Darstellung von Hass oder Gewalt), oder Material, das zu gefährlichen oder illegalen Handlungen ermutigt?«
Die Antragsgegnerin fasst die von den Nutzern abgegebenen Bewertungen nach einem mathematisch-statistischen Verfahren, das unter anderem die Eintragungen neuer Nutzer geringer gewichtet, zu einer durchschnittlichen Bewertung in jeder der genannten Kategorien und zu einer Gesamtbewertung zusammen. Diese Bewertungen und die Kommentare der Nutzer sind auf der Seite »www.com« für jedermann einsehbar. Internetnutzer können die Bewertungen und Kommentare außerdem mithilfe eines Add-Ons in ihren Internetbrowser integrieren. Die Installation des Add-Ons führt unter anderem dazu, dass bei dem betreffenden Nutzer auf den Ergebnislisten zum Beispiel der Suchmaschine Google neben jedem Treffer die Bewertungen für die jeweilige Internetseite in Kurzform angezeigt werden.
Die Internetseite des Antragstellers wurde unter dem 30.11.2011 auf der Internetseite »www.com« und im Add-On mit folgenden Bewertungen gelistet (deutsche Sprachfassung):
- Vertrauenswürdigkeit: schlecht (35),
- Händlerzuverlässigkeit: sehr schlecht (1),
- Datenschutz: sehr schlecht (1),
- Jugendschutz: sehr schlecht (1).
Beim Anklicken der durch das Add-On eingeblendeten Kurzinformation erschien ein Pop-Up-Fenster, in dem die Ergebnisse erneut und unter der Überschrift »Diese Seite hat einen schlechten Ruf basierend auf Benutzerbewertungen « dargestellt wurden.
Der Antragsteller ließ die Antragsgegnerin über deren außergerichtlichen Bevollmächtigten, nunmehr auch hiesigen Verfahrensbevollmächtigten, mit anwaltlichem Schreiben vom 16.12.2011 erfolglos abmahnen. Der Antragsteller sieht in der beanstandeten Veröffentlichung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und eine unlautere Wettbewerbshandlung, sie sei daher nach deutschem wie nach finnischem Recht zu verbieten. Bei den veröffentlichten Nutzerbewertungen handle es sich unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin zu den einzelnen Kategorien gegebenen Erläuterungen um unwahre Tatsachenbehauptungen. Jedenfalls seien die Äußerungen völlig willkürlich und damit als Schmähkritik zu untersagen. Die Antragsgegnerin hafte für die getätigten Äußerungen auch als Störerin. Wegen der finnischen Rechtslage nimmt der Antragsteller Bezug auf Auszüge aus der Literatur sowie ein Gutachten des Rechtsanwalts…
Der Antragsteller hat am 17.1.2012 eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der es der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt wurde, im Internet unter der Domain www.com und/oder im Rahmen eines Add-Ons Bewertungen der Internetseite www.de, die wörtlich und/oder sinngemäß und/oder durch grafische Darstellung mittels farbiger Kreise besagen:
- Vertrauenswürdigkeit »schlecht«
- Händlerzuverlässigkeit »sehr schlecht«
- Datenschutz »sehr schlecht«
- Jugendschutz »sehr schlecht«,
zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen, insbesondere, wenn dies wie nachfolgend bildlich dargestellt wie unter der Domain www.com/en/scorecard/.de oder wie in dem Add-On »WOT 20111107« geschieht: (es folgt die Wiedergabe von S. 3 f. der Antragsschrift).
Gegen die ihr am 13.3.2012 zwecks Vollziehung zugestellte einstweilige Verfügung richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller beantragt, die einstweilige Verfügung vom 17.1.2012 zu bestätigen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen. Sie meint, die einstweilige Verfügung sei schon deshalb aufzuheben, weil der Antragsgegnerin darin die streitgegenständliche Veröffentlichung unabhängig vom Inhalt der Internetseite des Antragstellers verboten werde. Im Übrigen ist sie der Auffassung, bei den beanstandeten Veröffentlichungen handle es sich um Meinungsäußerungen, die bei der gebotenen Interessenabwägung bereits nach deutschem Recht zulässig seien. Ihre Internetseite diene dem Verbraucherschutz und der öffentlichen Meinungsbildung. Bei der Bewertung des Antragstellers handle es sich nicht um Schmähkritik, weil der Antragsteller nicht verunglimpft und stigmatisiert werde. Bloße scharfe Kritik müsse er sich gefallen lassen. Überdies erkenne jeder Leser, dass die von anderen Nutzern abgegebenen Bewertungen subjektive, hinterfragbare Wertungen seien. Nach finnischem Recht sei die Antragsgegnerin zudem nicht schon nach einem Hinweis auf den Rechtsverstoß durch den Betroffenen zur Löschung verpflichtet, sondern nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung durch ein finnisches Gericht, an der es hier fehle. Wegen der finnischen Rechtslage nimmt die Antragsgegnerin Bezug auf Gutachten der Frau Dr. P. und der Frau Dr. T.
Entscheidungsgründe:
I.
Die einstweilige Verfügung war aufzuheben, denn sie ist zu Unrecht ergangen, §§ 925, 936 ZPO. Der Antrag auf ihren Erlass ist zulässig (unten 1.), jedoch unbegründet (unten 2.), weil dem Antragsteller zwar nach deutschem Recht ein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht, nicht aber nach finnischem Recht, wie sich dieses nach dem beiderseitigen Parteivortrag darstellt.
1.
Der Antrag ist zulässig; insbesondere ist das Landgericht Berlin gemäß § 32 ZPO örtlich und gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO international zuständig. Denn der angegriffene Beitrag war bestimmungsgemäß auch in Deutschland und im Bezirk des Landgerichts Berlin abrufbar, da das Angebot der Antragsgegnerin nicht regional oder national beschränkt ist, sondern sich gerade auch an Nutzer deutschsprachiger Internetseiten richtet (BGH NJW 2005, 1435 Rn. 17; KG NJW 1997, 3321, juris Rn. 37).
2.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Der Entscheidung ist, sofern der Betroffene dies geltend macht, grundsätzlich deutsches Recht als das Recht desjenigen Staates zu Grunde zu legen, in dem der deliktische Erfolg eingetreten ist, Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB. Jedoch setzt der Unterlassungsausspruch wegen § 3 Abs. 2 TMG, durch den Art. 3 Abs. 3 der RL 2000/31/EG (im Folgenden: E-Commerce-RL) in deutsches Recht umgesetzt wurde, voraus, dass dem Betroffenen auch nach dem Recht des Sitzstaates des Verletzers ein Unterlassungsanspruch zusteht (EuGH EuZW 2011, 962, Rn. 66 ff.; OLG Hamburg ZUM 2008, 63; KG AfP 2006, 259). Daran fehlt es hier. Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin zwar nach deutschem (unten a)), nicht aber nach finnischem Recht (unten b)) die Unterlassung der beanstandeten Veröffentlichung verlangen.
a) Dem Antragsteller steht nach deutschem Recht ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Unterlassung der streitgegenständlichen Veröffentlichung aus §§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 2 analog BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu, denn diese verletzt ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
aa) Es handelt sich bei den veröffentlichten Bewertungen zwar, anders als der Antragsteller meint, nicht um unwahre Tatsachenbehauptungen, sondern um Meinungsäußerungen. Diese sind jedoch hier ausnahmsweise unzulässig, weil sie jegliche Anknüpfungstatsache vermissen lassen und daher willkürlich sind.
Ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, ist aufgrund einer Abwägung des Rechts des Antragstellers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Recht der Antragsgegnerin auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. Denn wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH NJW 2010, 2728 Rn. 12 m. w. N.).
Welche Maßstäbe für diese Abwägung gelten, hängt grundsätzlich vom Aussagegehalt der Äußerung ab, also deren Einstufung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung. Diese Unterscheidung ist deshalb grundsätzlich geboten, weil der Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG bei Meinungsäußerungen regelmäßig stärker ausgeprägt ist als bei Tatsachenbehauptungen (BGH NJW 2007, 686 Rn. 14 m. w. N.).
Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es wesentlich darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen sind (BGH NJW 2005, 279, 281 m. w. N.).
Bei den vorliegend angegriffenen Bewertungen handelt es sich nicht um Tatsachenbehauptungen. Die Einordnung einer Internetseite auf einer Skala mit den fünf Wahlmöglichkeiten »sehr schlecht«, »schlecht«, »ungenügend«, »gut« und »ausgezeichnet« ist schon ihrer Natur nach von einem Meinen und Dafürhalten geprägt. Der unbefangene Durchschnittsleser geht auch nicht davon aus, dass die Nutzer, die diese Bewertungen abgeben, sich sklavisch an die von der Antragsgegnerin auf ihrer Internetseite gegebenen Erläuterungen für die einzelnen Kategorien halten, also etwa nur dann sehr schlechte Bewertungen in der Kategorie »Vertrauenswürdigkeit « abgeben, wenn auf der bewerteten Seite Internetbetrug, Kreditkartenbetrug, Phishing etc. stattfinden.
Überdies sind die Erläuterungen auch nicht geeignet, den fünf Bewertungsmöglichkeiten so scharfe Konturen zu geben, dass die in ihnen liegenden Äußerungen dem Beweis zugänglich wären. Die Erläuterungen sind offen und als beispielhafte Aufzählungen formuliert, wenn es dort etwa heißt, eine schlechte Bewertung »kann auf (…) hinweisen«, »weist auf möglichen (…) hin« oder »deutet auf (…) hin«. Ihnen lässt sich auch kein Maßstab entnehmen, ab dem Vorliegen welcher Voraussetzungen eine Seite zum Beispiel nicht mehr als »ungenügend«, sondern als »schlecht« oder gar als »sehr schlecht« bezeichnet werden soll.
Bei den danach vorliegenden Werturteilen ist für die Frage einer Persönlichkeitsrechtsverletzung maßgebend, ob sie als Schmähung, Formalbeleidigung oder Verletzung der Menschenwürde anzusehen und deshalb zu unterlassen sind oder, wenn dies zu verneinen ist, ob sie im Rahmen einer Abwägung dem Persönlichkeitsschutz vorgehen. Dabei ist aber zu beachten, dass in Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, eine Vermutung für die freie Rede spricht (vgl. BVerfG NJW 1994, 1779, 1780).
Äußerungen zu der Sozialsphäre desjenigen, über den berichtet wird, dürfen nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind. Tritt der Einzelne als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen, wirkt er durch sein Verhalten auf andere ein und berührt er dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens, dann ergibt sich aufgrund des Sozialbezuges nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Einschränkung des Bestimmungsrechts desjenigen, über den berichtet wird (BGH NJW-RR 2007, 619 Rn. 13 f., m. w. N.). Sofern es um Kritik an geschäftlichem Verhalten geht, muss diese grundsätzlich hingenommen werden. Wer sich im Wirtschaftsleben betätigt, setzt sich in erheblichem Umfang der Kritik an seinen Leistungen aus. Eine entsprechende Berichterstattung kann nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht verboten werden (BGH NJW-RR 2007, 619 Rn. 13 f. m. w. N.).
Insbesondere ist eine wertende Berichterstattung unzulässig, wenn es an jedwedem tatsächlichen Bezugspunkt für die geäußerte Kritik fehlt. Es geht insoweit nicht, wie die Antragsgegnerin meint, darum, ob ein Werturteil nach Auffassung des Bewerteten oder eines Dritten richtig oder falsch ist, was in der Tat für die Frage der Zulässigkeit seiner Veröffentlichung irrelevant wäre. Vielmehr ist zu fragen, ob für ein Werturteil irgendwelche tatsächlichen Grundlagen vorhanden sind, die der Kritisierende in einer ihm freistehenden Weise bewerten könnte, oder ob die Kritik mangels einer solchen Grundlage als vollends willkürlich erscheint.
Hier ist letzteres der Fall. Irgendwelche Belegtatsachen, auf denen die Kritik an der Internetseite des Antragstellers fußen könnte, werden in der Veröffentlichung durch die Antragsgegnerin nicht aufgeführt. Allerdings ist der Äußernde nicht gehalten, zugleich mit seinem Werturteil auch die Anknüpfungstatsachen mitzuteilen, die seiner Wertung zu Grunde liegen. Wenn diese Anknüpfungstatsachen vorhanden sind und im Rahmen einer juristischen Auseinandersetzung ggf. dargelegt werden können, so fehlt der Kritik nicht jede sachliche Grundlage (Höch, in: Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, Rn. 21.6; BGH NJW 1974, 1762, 1763 – Deutschland-Stiftung).
Jedoch sind hier Anknüpfungstatsachen nicht nur nicht in der streitgegenständlichen Veröffentlichung mitgeteilt worden, sondern offenbar überhaupt nicht vorhanden. Weder ist von der Antragsgegnerin etwas vorgetragen, was Grundlage für eine Bewertung der Internetseite des Antragstellers in den fraglichen Kategorien sein könnte, noch finden sich solche Grundlagen auf der Internetseite des Antragstellers selbst. Unter Berücksichtigung der auf dieser Internetseite angebotenen Inhalte – Informationen über das von dem Antragsteller betriebene Naturheilzentrum, heilpraktische Therapiemethoden, seine Mitarbeiter etc. – und des unstreitig gebliebenen Umstandes, dass der Antragsteller keinen Online-Shop, geschweige denn Phishing, Spamming etc. betreibt, ist es unerfindlich, auf welcher Grundlage Nutzer Wertungen in den Kategorien »Vertrauenswürdigkeit «, »Händlerzuverlässigkeit«, »Datenschutz« oder gar »Jugendschutz« sollen abgeben können.
bb) Die Antragsgegnerin ist für die beanstandeten Veröffentlichungen nach deutschem Recht auch verantwortlich.
(1) Zwar sind ihr die beanstandeten Veröffentlichungen nicht als eigene Inhalte im Sinne von § 7 Abs. 1 TMG zuzurechnen. Eigene Inhalte im Sinne von § 7 Abs. 1 TMG sind nicht nur selbst geschaffene, sondern auch solche Inhalte, die sich der Anbieter zu eigen macht. Maßgeblich ist dafür eine objektive Sicht auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände. Voraussetzung ist, dass der Anbieter tatsächlich und nach außen (aus der Sichtweise eines verständigen Internetnutzers) sichtbar die Verantwortung für die auf der Internetseite veröffentlichten Inhalte übernimmt (BGH ZUM-RD 2010, 456 Rn. 23 ff. – marions-kochbuch.de). Diese Voraussetzung ist hier schon deswegen nicht erfüllt, weil die Antragsgegnerin die von ihr veröffentlichten Bewertungen ausdrücklich als »Benutzerbewertungen « bzw. »basierend auf Benutzerbewertungen« kennzeichnet und die von ihr vorgenommene Zusammenfassung der einzelnen Nutzerbewertungen zu einem Gesamtindex auf einem automatisierten Verfahren beruht.
(2) Die Antragsgegnerin haftet jedoch für die von ihr gespeicherten und zugänglich gemachten Inhalte als Störerin.
Als Störer ist verpflichtet, wer, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt. Die Störerhaftung darf jedoch nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Sie setzt die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfungspflichten voraus; deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, eine Prüfung zuzumuten ist. Nimmt ein Betroffener einen Hostprovider auf Unterlassung der Verbreitung einer in einem Blog enthaltenen Äußerung eines Dritten in Anspruch, weil diese das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletze, so ist der Hostprovider erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von der Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt. Dies setzt voraus, dass die Beanstandung des Betroffenen so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptungen des Betroffenen unschwer bejaht werden kann. Eine Verpflichtung zur Löschung des beanstandeten Eintrags besteht, wenn auf der Grundlage der Stellungnahme des für den Blog Verantwortlichen und einer etwaigen Replik des Betroffenen unter Berücksichtigung etwa zu verlangender Nachweise von einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts auszugehen ist. (BGH NJW 2012, 148 Rn. 21 ff. m. w. N. – Blog-Eintrag).
Nach diesen Maßstäben, die auf ehrenrührige Veröffentlichungen auf Internetplattformen im Allgemeinen übertragbar sind, haftet die Antragsgegnerin hier als Störerin für die angegriffenen Bewertungen.
Der Antragsteller hat die Antragsgegnerin mit anwaltlichem Schreiben vom 16.12.2011 abmahnen lassen. In der Abmahnung wird der beanstandete Sachverhalt ausführlich und nachvollziehbar in einer Weise geschildert, die klar erkennen lässt, dass, sofern sich nicht entgegenstehende Anhaltspunkte aufgrund von Stellungnahmen der für die Bewertung Verantwortlichen ergeben, von einer rechtswidrigen Persönlichkeitsrechtsverletzung auszugehen ist. Solche Stellungnahmen hat die Antragsgegnerin aber schon nicht eingeholt. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist aufgrund der rechtswidrigen Veröffentlichung zu vermuten. Sie hätte nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können (BGH NJW 1994, 1281, 1283), an der es hier fehlt.
b) Eine Inanspruchnahme der Antragsgegnerin scheitert jedoch daran, dass sie nach finnischem Recht, wie sich dieses nach dem beiderseitigen Parteivortrag darstellt, nicht zur Unterlassung der angegriffenen Veröffentlichung verpflichtet ist (unten aa)). Das Gericht war im einstweiligen Verfügungsverfahren auch nicht gehalten, über den Parteivortrag hinausgehende Ermittlungen zum finnischen Recht anzustellen (unten bb)).
aa) Maßgeblich für die Haftung von Plattformbetreibern nach finnischem Recht ist § 15 des finnischen Gesetzes über den elektronischen Handel (Gesetz Nr. 458/2002, Laki tietoyhteiskunnan palvelujen tarjoamisesta). Dieses Gesetz setzt, vergleichbar dem deutschen TMG, die Anforderungen der E-Commerce-RL in nationales Recht um. § 15 des finnischen Gesetzes über den elektronischen Handel lautet in englischer Übersetzung wie folgt: »Exemption from liability in hosting services When an information society service is provided that consists of the storage of information provided by a recipient (content producer) of the service, the service provider is not liable for the information stored or transmitted at the request of a recipient of the service if he/she acts expeditiously to disable access to the information stored: 1) upon obtaining knowledge of the order concerning it by a court or if it concerns violation of copyright or neighbouring right upon obtaining the notification referred to in Section 22; 2) upon otherwise obtaining actual knowledge of the fact that the stored information is clearly contrary to Section 8 of Chapter 11 or Section 18 of Chapter 17 of the Penal Code (39/1889). The provisions in paragraph 1 shall not apply if the content producer is acting under the authority or the control of the service provider.«
Danach haftet ein Plattformbetreiber für die von ihm gespeicherten fremden Inhalte im Zusammenspiel mit den weiteren zitierten Normen nur dann, wenn er die Inhalte nicht unverzüglich löscht, nachdem er – Kenntnis von einer gerichtlichen Verfügung erlangt hat, die ihn hierzu verpflichtet, – über die Rechtsverletzung von dem Rechtsinhaber informiert worden ist und es sich um eine Verletzung von Urheber- oder ähnlichen Rechten handelt, – von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt hat und es sich um Inhalte handelt, die den strafrechtlichen Tatbestand der Volksverhetzung oder der Pornografie erfüllen.
Danach scheidet eine Haftung im vorliegenden Fall aus, weil es sich bei den von der Antragsgegnerin veröffentlichten Bewertungen, wie erörtert (s. oben a) bb) (1)), um fremde Inhalte handelt und keine der genannten Haftungsvoraussetzungen erfüllt ist. Soweit der BGH für das deutsche Recht festgestellt hat, dass die (bis auf ihre großzügigeren Voraussetzungen) vergleichbare Haftungsbeschränkung des § 10 TMG für Unterlassungsansprüche nicht gilt (BGH ZUM 2007, 846 Rn. 20 – Jugendgefährdende Medien bei eBay), sodass eine Störerhaftung in Übereinstimmung mit der Öffnungsklausel des Art. 14 Abs. 3 E-Commerce-RL gleichwohl in Betracht kommt, lässt sich dem Parteivortrag nicht entnehmen, dass das finnische Recht ein der Störerhaftung vergleichbares Rechtsinstitut kennt.
Es liegt auch keine gerichtliche Verfügung im Sinne von § 15 des finnischen Gesetzes über den elektronischen Handel vor. Zwar ist dem Antragsteller darin zuzustimmen, dass eine solche gerichtliche Verfügung nicht von einem finnischen Gericht ausgesprochen werden müsste, sondern auch in einer Entscheidung der hiesigen Kammer zu erblicken wäre. § 17 des finnischen Gesetzes über den elektronischen Handel regelt die örtliche Zuständigkeit und enthält keine abschließende Regelung der internationalen Zuständigkeit. Eine Auslegung dieser Norm dahingehend, dass eine Entscheidung eines ausländischen Gerichts, das aufgrund Art. 5 Nr. 3 EuGVVO international zuständig ist, in Finnland nicht als verbindlich zu beachten ist, wäre mit dem europäischen Recht nicht vereinbar. Auch ein ausländisches, international zuständiges Gericht hätte aber gemäß Art. 3 Abs. 3 E-Commerce-RL seiner Entscheidung neben dem jeweiligen nationalen auch finnisches Recht zu Grunde zu legen.
Nach finnischem Recht, wie es sich nach dem beiderseitigen Parteivortrag darstellt, besteht keine Rechtsgrundlage für eine Verbotsverfügung gegen die Antragsgegnerin.
Das Handeln der Antragsgegnerin könnte zwar grundsätzlich gegen das finnische Gesetz gegen unlautere Geschäftspraktiken (Gesetz Nr. 1978/1061, Laki sopimattomasta menettelystä elinkeinotominnassa – Sop- MenL) verstoßen. § 2 dieses Gesetzes lautet in deutscher Übersetzung wie folgt: »Unzulässig im geschäftlichen Verkehr sind falsche oder irreführende Angaben über das eigene Unternehmen oder über das Unternehmen eines Dritten, wenn diese Angaben geeignet sind, die Produktnachfrage zu beeinflussen oder das Geschäft eines Dritten zu schädigen. Unzulässig im geschäftlichen Verkehr sind Angaben, die unerhebliche Umstände betreffen sowie Angaben, die in einer unpassenden Art und Weise präsentiert oder formuliert werden, wenn sie geeignet sind, das Geschäft eines Dritten zu schädigen.«
Das SopMenL setzt, anders als §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Anspruchsteller und dem in Anspruch Genommenen nicht voraus. Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob die angegriffenen Bewertungen als »falsche oder irreführende Angaben « im Sinne von § 2 SopMenL angesehen werden können. Denn es handelt sich bei ihnen, wie ausgeführt (s. oben a) aa)), nicht um Tatsachenbehaupten, sondern um Meinungsäußerungen. Eine Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin scheitert aber jedenfalls daran, dass sie keine eigenen Bewertungen veröffentlicht, sondern lediglich eine Plattform zur Verfügung stellt, auf der Nutzer Bewertungen abgeben können, die von der Antragsgegnerin wiederum in einem automatisierten Verfahren zu Gesamtbewertungen zusammengefasst werden. Die Antragsgegnerin veröffentlicht mithin, wie ebenfalls bereits erörtert, keine eigenen, sondern fremde Inhalte.
Das SopMenL setzt jedoch, wie die Privatgutachterin Dr. P. in dem von der Antragsgegnerin eingereichten Gutachten ausführt, einen aktiven Verstoß des Internetdiensteanbieters voraus. Die bloße Zurverfügungstellung einer Plattform, auf der Nutzer unbeeinflusst Bewertungen abgeben können, die nicht gesichtet, sondern automatisch oder nach Verarbeitung in einem automatisierten Verfahren veröffentlicht werden, genügt für einen Wettbewerbsverstoß nicht. Dies entspricht der jüngeren Rechtsprechung zum deutschen Wettbewerbsrecht, wonach hier eine Störerhaftung grundsätzlich ausscheidet. Zwar kommt in solchen Fallkonstellationen, die auf anderen Gebieten des besonderen Deliktsrechts nach den Grundsätzen der Störerhaftung zu beurteilen wären, eine täterschaftliche Verantwortlichkeit des Plattformbetreibers in Betracht, wenn dieser durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr eine ernsthafte Gefahr der Verletzung der Interessen von Marktteilnehmern durch Dritte begründet und sodann wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten zur Begrenzung dieser Gefahr, insbesondere zumutbare Prüfungs- und Überwachungspflichten, missachtet (vgl.BGHZUM2007, 846 Rn. 36 ff. – Jugendgefährdende Medien bei eBay). Dem Parteivortrag lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass nach finnischem Recht eine vergleichbare wettbewerbsrechtliche Täterhaftung für die Verbreitung fremder Inhalte besteht.
bb) Das Gericht hatte keinen Anlass, weitere Ermittlungen zum finnischen Recht anzustellen. Die von der Antragsgegnerin eingereichten Rechtsgutachten lassen jedenfalls erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass nach finnischem Recht eine Haftung der Antragsgegnerin für die vorliegend von ihr zur Verfügung gestellten fremden Inhalte besteht. Demgegenüber nehmen die von dem Antragsteller eingereichten Ausführungen zum finnischen Recht zur Frage der Haftung für fremde Inhalte nicht Stellung. Die Einholung eines Rechtsgutachtens durch einen vom Gericht zu beauftragenden Sachverständigen oder von Auskünften finnischer Behörden verbietet sich im einstweiligen Verfügungsverfahren, §§ 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO. Die nach Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnisquellen verbleibenden Zweifeln hinsichtlich des finnischen Rechts gehen zulasten des Antragstellers (vgl. KG ZUM-RD 2006, 276).