Landgericht Essen, Urteil vom 29.10.2020 (4 O 9/20)
Die Reichweite des Datenschutzrechtes und seine Abgrenzung gegenüber anderen Rechtsinstituten ist ein Dauerbrenner, der die Gerichte verstärkt seit dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 beschäftigt.
Der Fall:
Eine interessante Facette dieses Problemkreises war vorliegend nun Gegenstand eines Verfahrens beim LG Essen. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob die Nennung eines Klarnamens in einem Bewertungsportal gegen die Regeln der DSGVO verstößt.
Kern des Verfahrens war eine Bewertung auf dem Bewertungsportal von Google. Auf diesem Portal fand sich der Eintrag einer Bäckerei, auf dem Bewertungen über die Bäckerei eingestellt wurden. Unter diesen Bewertungen fand sich eine Bewertung mit folgendem Wortlaut:
„Ich bin hier immer zum frühstücken und sonst auch immer zufrieden und finde das Team sehr sehr nett! Aber wurde heute so unfreundlich „bedient“ von Frau (_Klarnamen_?) Nicht schön in einer Bäckerei zu arbeiten aber Menschen derart unfreundlich zu behandeln.“
Die namentlich benannte Mitarbeiterin war nicht damit einverstanden, ihren Klarnamen in der Rezension zu lesen. Sie verlangte von der Bewertungsplattform die Löschung der Bewertung sowie die Löschung ihres Klarnamens aus der Rezension. Diesen Anspruch stützte sie auf den datenschutzrechtlichen Löschungsanspruch (Artikel 17 Absatz 1 Buchtstabe d DSGVO). Daneben machte sie Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO geltend (Artikel 82 DSGVO).
Die Entscheidung des Gerichts:
Das Gericht entschied gegen die Klägerin. Zwar folgte das Gericht ihrer Ansicht, die Nennung des Klarnamens sei eine datenschutzrechtlich relevante Verarbeitung eines personenbezogenen Datums (Artikel 4 Ziffer 1 und 2 DSGVO). Auch die Rechtswidrigkeit der Verarbeitung gab das Gericht zu. Gleichwohl sah das Gericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin mit Verweis auf Artikel 17 Absatz 3 DSGVO nicht verletzt: Der Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten ist ausgeschlossen, wenn die Datenverarbeitung zur Ausübung Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist (Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe a DSGVO).
Damit nimmt das Gericht eine Abwägung zweier Grundrechte vor, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin einerseits und dem Recht auf Meinungsfreiheit des Rezensenten und auf Informationsfreiheit des Bewertungsportals andererseits. Im Rahmen dieser Abwägung fand das Gericht, dass letztere überwiegen.
Die Bezeichnung der Klägerin als „unfreundlich“ stellt eine klare Äußerung des Meinens und Dafürhaltens dar. Es mag vielleicht unangenehm für die Klägerin sein, so bezeichnet zu werden. Aber die Äußerung ist weder beleidigend noch stellt sie eine Schmähkritik dar. Die Äußerung betrifft die Klägerin auch lediglich in ihrem beruflichen Wirkungskreis, also ihrer Sozialsphäre. Sie betrifft die Klägerin nicht in ihrer Privat- oder Intimsphäre, für die sie einen stärkeren Schutz beanspruchen könne. Als Mitarbeiter im Kundenservice einer Bäckerei steht sie vielmehr in stetigem Kontakt zu Kunden. Schließlich war entscheidend, dass es dem Rezensenten offenbar gerade darum ging, das Verhalten der Klägerin im Vergleich zu den übrigen Mitarbeitern der Bäckerei zu bewerten: das Verhalten des „Teams“ wird als „sehr sehr nett“ beschrieben und dem Verhalten der Klägerin als „unfreundlich“ gegenübergestellt.
Würde man diese Meinungsäußerung mit Mitteln der DSGVO verbieten, also das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin höher werten als das Recht auf freie Meinungsäußerung, würde letzteres stark beschnitten werden. Die Nennung des Klarnamens ist ein wesentlicher Teil der Meinungsäußerung und ist deswegen erforderlich.
Fazit:
Die vom LG Essen vorgenommene Gewichtung der widerstreitenden Rechtspositionen erscheint schlüssig und überzeugend.
Die DSGVO und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist kein „Super-Grundrecht“, hinter dem alle übrigen Grundrechte zurücktreten müssen. Es ist stets mit anderen Rechtsinstituten in Ausgleich zu bringen und abzuwägen. Eine rigorose Anwendung des Datenschutzrechts darf nicht zu einer ungebührlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit führen.
Gleichzeitig lässt das LG Essen einige Fragen unbeantwortet: so setzt das Gericht ohne weiteres voraus, dass die Nennung des Klarnamens eine rechtswidrige Datenverarbeitung gewesen sei. Daneben weicht das LG Essen der – datenschutzrechtlich spannenden – Frage nach der Verantwortlichkeit für die mutmaßlich rechtswidrige Datenverarbeitung in bzw. im Rahmen der Rezension aus. Und schließlich hat das Gericht der Umstand überhaupt nicht beachtet, dass in einem Bewertungsprofil der Bäckerei eine Bewertung der Klägerin erfolgt.
Das Urteil erscheint als eine Momentaufnahme und sachgerechte Entscheidung eines Einzelfalls. Eine grundlegende und allgemeingültige Aussage für alle Nennungen von Klarnamen in Bewertungsportalen sollte man dem Urteil jedoch nicht entnehmen.
Hinweis:
In dieser Rubrik möchten wir über aktuelle Rechtsentwicklungen rund um Bewertungsportale berichten. Dabei geben die Artikel die Meinung der Verfasser zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Aufgrund der Dynamik des Rechtsgebiets kann es vorkommen, dass besprochene Urteile durch zu einem späteren Zeitpunkt ergangene Urteile überholt sind. Auch ist es möglich, dass unterschiedliche Gerichte zu ähnlichen Rechtsfragen unterschiedliche Urteile fällen, soweit es zu diesen keine eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt.
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